Manchmal habe ich das Gefühl, der Herr Schäuble treibt einfach nur einen Scherz zu weit. Vielleicht bringt er all diese haarsträubenden Vorschläge nur deshalb, weil er den Deutschen zeigen will, wie verblendet sie sind.
Er guckt, wie weit er gehen kann, wie lange noch das Parteiensystem funktioniert, das ihm automatischen Zuspruch aus den eigenen Reihen, fernab jeglicher Vernunft oder "bestem Wissen und Gewissen" einbringt. Wie lange noch der Koalitionspartner vielleicht mal seine Sorgen zum Ausdruck bringt, um dann in einem niedrigeren Gang die gleiche Strecke zu fahren. Wie lange noch die Opposition sowieso alles vertäufelt, was von der Regierung kommt, nur um dann um zu denken, sobald sie selbst in der Regierung sitzen.
Wahrscheinlich wird es der Tag sein, an dem Herr Schäuble zum ersten Kaiser der Freien Bundesrepublik Deutschland gekrönt wird. An dem Tag, an dem er endlich auch volle Befugnis hat schützend seine Hand über sein Volk zu halten und mit dieser Hand alle Terroristen und sonstigen Gegner der Freien Bundesrepublik Deutschland vernichten kann, auf dass Friede und Freiheit auf alle Zeit unser Leben begleiten.
An diesem Tage wird Herr Schäuble aufblicken und mit einer Träne im Auge sagen:
Es tut mir leid, aber ich will kein Kaiser sein. Das ist nicht meine Sache. Ich möchte niemanden beherrschen und niemanden bezwingen. Es ist mein Wunsch, einem jeden zu helfen – wenn es möglich ist – sei er Moslem oder Jude, Weißer oder Schwarzer. Wir alle haben den Wunsch, einander zu helfen. Das liegt in der Natur des Menschen. Wir wollen vom Glück des Nächsten leben – nicht von seinem Elend. Wir wollen nicht hassen und uns nicht gegenseitig verachten. In dieser Welt gibt es Raum für alle, und die gute Erde ist reich und vermag einem jeden von uns das Notwendige zu geben.
Wir könnten frei und anmutig durchs Leben gehen, doch wir haben den Weg verloren. Die Gier hat die Seelen der Menschen vergiftet – sie hat die Welt mit einer Mauer aus Hass umgeben – hat uns im Stechschritt in Elend und Blutvergießen marschieren lassen. Wir haben die Möglichkeit entwickelt, uns mit hoher Geschwindigkeit fortzubewegen, doch wir haben uns selbst eingesperrt. Die Maschinen, die uns im Überfluss geben sollten, haben uns in Not gebracht. Unser Wissen hat uns zynisch, die Schärfe unseres Verstandes hat uns kalt und lieblos gemacht. Wir denken zuviel und fühlen zu wenig. Dringender als der Technik bedürfen wir der Menschlichkeit. Güte und Sanftmut sind wichtiger für uns als Intelligenz. Mit dem Verlust dieser Eigenschaften wird das Leben immer gewalttätiger, und alles wird verloren sein.
Das Internet und das Telefon haben uns näher gebracht. Das innerste Wesen dieser Dinge ruft nach den guten Eigenschaften im Menschen – ruft nach weltweiter Brüderlichkeit – fordert uns auf, uns zu vereinigen. In diesem Augenblick erreicht meine Stimme Millionen Menschen in der ganzen Welt – Millionen verzweifelter Männer, Frauen und kleiner Kinder –, die die Opfer sind eines Systems, das Menschen dazu bringt, Unschuldige zu quälen und in Gefängnisse zu werfen. Denen, die mich hören können, rufe ich zu: Verzweifelt nicht! Das Elend, das über uns gekommen ist, ist nichts als Gier, die vorübergeht, die Bitterkeit von Menschen, die den Fortschritt der Menschheit fürchten. Der Hass der Menschen wird aufhören, Diktatoren werden sterben, und die Macht, die sie dem Volk genommen haben, wird dem Volk zurückgegeben werden. Solange Menschen sterben, kann die Freiheit niemals untergehen.
Bürger! Unterwerft euch nicht diesen Gewalttätern, die euch verachten und versklaven, die euer Leben in starre Regeln zwingen und euch befehlen, was ihr tun, was ihr denken und was ihr fühlen sollt! Sie drillen euch, sie päppeln euch auf und behandeln euch wie Vieh, um euch schließlich als Kanonenfutter zu verbrauchen. Unterwerft euch nicht diesen Unmenschen – Maschinenmenschen mit Maschinengehirnen, Maschinenherzen. Ihr seid keine Maschinen! Ihr seid Menschen! In euren Herzen lebt die Liebe zur Menschheit! Hasst nicht. Nur der Unglückliche kann hassen – der Ungeliebte, der Pervertierte!
Bürger! Kämpft nicht für die Sklaverei! Kämpft für die Freiheit! Im siebzehnten Kapitel des Lukas-Evangeliums steht geschrieben, das Reich Gottes sei im Menschen – nicht in einem Menschen oder in einer besonderen Gruppe von Menschen, sondern in allen! In euch! Ihr, das Volk, habt die Macht – die Macht, Maschinen zu erschaffen. Die Macht, Glück hervorzubringen. Ihr, das Volk, habt die Macht, das Leben frei und schön zu gestalten – aus diesem Leben ein wundersames Abenteuer werden zu lassen. Lasst uns also – im Namen der Demokratie – diese Macht anwenden – vereinigt euch! Lasst uns kämpfen für eine neue Welt, für eine gesittete Welt, in der jedermann die Möglichkeit hat zu arbeiten, die der Jugend eine Zukunft und die dem Alter Sicherheit zu geben vermag.
Die Überwacher sind zur Macht gekommen, weil sie euch diese Dinge versprochen haben. Doch sie lügen! Sie halten ihre Versprechungen nicht. Sie werden das nie tun! Diktatoren befreien sich selbst, aber sie versklaven das Volk. Lasst uns nun dafür kämpfen, die Welt zu befreien – die nationalen Schranken niederzureißen – die Gier, den Hass und die Intoleranz beiseite zu werfen. Lasst uns kämpfen für eine Welt der Vernunft – eine Welt, in der Wissenschaft und Fortschritt zu unser aller Glück führen sollen. Bürger, im Namen der Demokratie, lasst uns zusammen stehen!
Und selbst dann wird niemand seine Satire begreifen. Sie werden ihm zujubeln, was für tolle Worte doch der Kaiser an sein Volk gerichtet hat. Keiner wird verstehen, dass er sich selbst mit dem Diktator meinte. Keiner wird sehen, dass er allen den falschen Weg gezeigt hat, dass er nicht mehr Hynkel, sondern Chaplin ist.
Herr Schäuble wird an dem Abend ins Bett gehen und bitter weinen um das Volk, das ihm alles glaubte und das selbst die Wahrheit nicht erschüttern konnte. Herr Schäuble wird geschlagen und ungehört ein trauriges "April, April" in den dunklen Raum hinein flüstern. Keiner sieht ihn und keiner hört ihn. Und am nächsten Tag beginnt er seine Arbeit als Kaiser Wolfgang I.